P. Zwyssig: Täler voller Wunder

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Titel
Täler voller Wunder. Eine katholische Verflechtungsgeschichte der Drei Bünde und des Veltlins (17. und 18. Jahrhundert)


Autor(en)
Zwyssig, Philipp
Reihe
Kulturgeschichten. Studien zur Frühen Neuzeit 5
Erschienen
Affalterbach 2018: Didymos Verlag
Anzahl Seiten
468 S.
Preis
€ 59,00
URL
von
Ennio Zala

In seiner Studie «Täler voller Wunder» erkennt Philipp Zwyssig beidseits der rhätischen Alpen im 16. und 17. Jahrhundert ein beispielhaftes Modell der «katholischen Verflechtungsgeschichte». Um die zahlreichen und unterschiedlichen Aspekte des religiösen Lebens in diesem Alpenraum der damaligen Zeit zu erforschen, übernimmt der Berner Historiker die gleichen Kriterien, mit welchen die bisherige Forschung die gesellschaftlichen Aspekte im Kirchenstaat untersucht hat. Im Vergleich zum ursprünglichen historischen Forschungsansatz, von dem er sich hat inspirieren lassen, hebt der Autor neben den Manifestationen der katholischen Frömmigkeit in diesem Berggebiet immer wieder die Beziehung zwischen dem lokalen Katholizismus und dem Zentrum der universalen Katholizität hervor. Dabei bleibt Zwyssig grundsätzlich einem eher traditionellen Forschungsansatz verpflichtet, welcher die katholische Peripherie als den «langen Arm Roms» betrachtet, welche diesem einseitig unterworfen ist und bisweilen auf universelle religiöse Impulse lediglich zu reagieren vermag. Dennoch gelingt es dem Autor, einige wesentliche Aspekte der wechselseitigen Beeinflussung innerhalb dieses Systems der Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie hervorzuheben. So veranschaulicht Zwyssig in den drei Hauptteilen seiner Arbeit zahlreiche lokale Manifestationen der barocken katholischen Frömmigkeit. Er deckt damit Verbindungen auf zwischen zahlreichen heterogenen und manchmal sogar kontrastierenden religiösen Phänomenen innerhalb dieses Alpenraums sowie ihren mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen zu politisch-religiösen Akteuren über die lokalen Grenzen hinaus.

Schon der nicht einfache Titel des ersten Hauptteils der Studie «Translokaler Katholizismus» weist auf die Absicht des Autors hin, die Beziehungen zwischen den Besonderheiten des rhätischen Katholizismus und den Merkmalen des italienischen Kulturbeckens herauszuarbeiten, zu welchem dieser – zumindest in seiner subalpinen Ausdehnung gehört. Die wertvollen Ergebnisse dieses Teils der Arbeit hätten vermehrt zum differenzierteren Verständnis der Natur des Katholizismus in Rhätien während der Untersuchungsperiode geführt, wenn die ontologischen Daten des erforschten Phänomens und seine zeitgleichen sowie früheren soziokulturellen faktischen Determinanten stärker berücksichtigt worden wären. So kann sich eine lokale Ausprägung des Katholizismus gemäss ihrem inneren Selbstverständnis tatsächlich kaum als nicht «translokal» verstehen, was besonders im posttridentischen Kirchenzeitalter deutlicher wahrnehmbar wurde. Unter Miteinbezug der kirchenpolitischen Wahrnehmung dieser Gebiete von den zwei konfessionellen Fronten während der religiösen Spaltung des vorherigen Jahrhunderts hätte sich zum einen eine differenziertere Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen geokulturellen Gebieten der zwei rhätischen Alpenkämme positiv auf eine pointiertere Interpretation der Forschungsresultate ausgewirkt. Zum anderen wäre eine Verortung von Austausch und Kommunikation zwischen dem katholischen Graubünden und der angrenzenden italienischen Halbinsel im weiteren sozio-politischen und wirtschaftlichen Horizont der Beziehungen zwischen Rhätien und den damaligen italienischen Staaten nützlich gewesen.

Die im ersten Kapitel herausgearbeitete religiöse Abgrenzung bestimmt auch den zweiten Teil der Studie. In diesem stellt der Autor dar, wie sich katholische Ausdrucksformen religiöser Kultur in den rhätischen «barocken Gnadenlandschaften» ihrer Verflechtung nach über lokale Grenzen hinausragen. Neben der Aufgabe, das Territorium aus religiöser Sicht zu markieren, wird die Vielzahl und die Vielfalt der in der Studie vorgefundenen Glaubens- und Frömmigkeitspraktiken vorgestellt und ihre Funktion in einer konfessionell kontrastierenden Perspektive unterstrichen. Dabei sind die interessanten Überlegungen zur Mentalitätsgeschichte im Sinne einer actor oriented view des historischen Geschehens in diesem Teil der Arbeit lediglich ansatzweise vorhanden, werden jedoch leider nicht weiterentwickelt.

Der dritte Teil der Untersuchung, in dem sich die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel abschliessend an der Zielsetzung der Studie orientieren, ist den «Ökonomien des (Un)Heils: Religiöse Erfahrungswelten und Ambivalenzen mit dem Sakrale» gewidmet. Zwyssig gelingt es aufzuzeigen, wie das Ergebnis der Beziehungen – an dieser Stelle müsste man genau genommen von gegenseitigem Austausch sprechen – zwischen dem rhätischen Katholizismus an der Peripherie und dem kirchlichen Zentrum zu einem Aufblühen des religiösen Ausdrucks in dieser alpinen Randregion geführt hat. Dieser entwickelte sich hin zu bisweilen nicht nur zweideutigen, sondern verglichen mit den strengen tridentinischen Massstäben gar zu heterodox oder abergläubisch anmutenden Ausdrucksformen. Mit einer sachlichen Einbettung im Kontext der intrinsischen Dynamik zwischen Einheit und Vielfalt des katholischen Selbstverständnisses hätten die entsprechenden Interpretationsversuche des Autors an Objektivität und Dichte gewonnen.

Im Grunde widerspiegelt sich dieser letzte Gedanke auch in den abschliessenden Überlegungen, die der Autor aus seiner Studie zieht. Obschon bereits seit den letzten Dekaden des 16. Jahrhunderts sogar unter den Exponenten des hohen Klerus in den untersuchten Gebieten die Ideale des Tridentinums fast zur reinen ideologischen Referenz verkommen waren, hat der Berner Historiker in etwas unscharfen Unterscheidungen die Trienter Konzilsbestimmungen mit der Frömmigkeitspraxis der folgenden Barockzeit in Verbindung gebracht. Anknüpfend an die These von diesem Teil der Alpen als konfessioneller Grenze, von der – obwohl im umgekehrten Sinne – die protestantische Partei bereits im vorigen Jahrhundert als erste für die Verbreitung der Reformation in Italien Gebrauch gemacht hatte, und woran sich die konfessionelle Geschichtsschreibung in den folgenden Jahrhunderten bedient hat, bekräftigt der Autor, wie zu diesem Zweck sowohl ein von der kirchlichen Hierarchie ad hoc zur Verfügung gestelltes Instrumentarium des Sakralen als auch dessen Nutzung durch die lokalen Gläubigen diente (oder instrumentalisiert wurde). Demnach wären die verschiedenen äusseren Ausdrucksformen der barocken Frömmigkeit in diesem Gebiet, aber auch die religiöse Erfahrung der rhätischen Katholiken kaum mehr das Ergebnis einer erfolgreichen Konfessionspolitik.

Zitierweise:
Zala, Ennio: Rezension zu: Zwyssig, Philipp: Täler voller Wunder. Eine katholische Verflechtungsgeschichte der Drei Bünde und des Veltlins (17. und 18. Jahrhundert), Affalterbach 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 175-176. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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